Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind auch auf dem Bewerbermarkt zu spüren. Obwohl zunächst eine Entspannung des Kandidatenmarktes zu vermuten ist, kann nun digitales Recruitment zu Herausforderungen für Unternehmen werden.
Thomas Hartenfels, Director bei Robert Walters Düsseldorf & Köln und Kooperationspartner Jörn Kuhn, Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht der Anwaltssozietät Oppenhoff, tauschen sich regelmäßig zu verschiedenen HR- und arbeitsrechtlichen Themen aus. Im folgenden Interview befragt Jörn Kuhn, Thomas Hartenfels zu seiner Einschätzung hinsichtlich der Corona-Implikationen und dessen Auswirkungen auf die digitale Recruitment-Welt.
Tatsächlich stellen wir bei unseren Kunden fest, dass sie sich langsam an die neue Normalität der Arbeitswelt gewöhnt haben. Ganz anders sah es beim ersten Lockdown aus, da fühlten sich viele Unternehmen überrumpelt, weil häufig die Grundausrüstung für mobiles Arbeiten fehlte.
Nach nun einem Jahr sind mobile Arbeitsgeräte und Softwarelösungen wie Teams, Zoom und Stack üblich geworden. Dadurch hat sich in den Unternehmen eine gewisse Routine eingestellt und wir beobachten eine zunehmende Digitalisierung der Arbeitsprozesse.
Laut aktuellen Befragungen unserer Kunden finden inzwischen zwei Drittel der Bewerbungsprozesse vollständig digital statt. Das übrige Drittel führt häufig teildigitale Verfahren durch, wünscht sich aber ein finales persönliches Treffen zum Abschluss. Wir erleben nur noch sehr wenige Unternehmen, die vollständig an Präsenz-Bewerbungsgesprächen festhalten.
Ich gebe Ihnen aber Recht bei der Frage der Akzeptanz des Digitalgespräches: Diese ist nicht besonders hoch. Über die Hälfte unserer Ansprechpartner, und zwei Drittel unserer Kandidaten, sehen darin eher Nachteile – aus nachvollziehbaren Gründen: Zum einen bleiben so viele wichtige Eindrücke auf der Strecke, wie zum Beispiel das ganzheitliche Erleben des Gegenübers oder des potenziellen neuen Arbeitsplatzes. Auf dem Weg vom Empfang zum Konferenzraum verschafft man sich als Kandidat ja bereits viele Eindrücke – diese fehlen nun.
Zum anderen sind Interviewer wie Bewerber eben nicht aus Überzeugung und Affinität zum digitalen Vorstellungsgespräch übergegangen, sondern wurden durch äußere Umstände gezwungen. Und Zwang ruft nun mal auch in diesem Fall häufig Skepsis hervor.
Der für das Bewerbungsgespräch zuständige Personaler sollte versuchen, sich nicht nur rein inhaltlich auf das Gespräch zu konzentrieren, sondern dem Bewerber auch auf digitalem Weg ein wenig das Drumherum des Unternehmens und der Abläufe vermitteln. Wenn schon die persönliche Nähe fehlt, sollte man versuchen, auch im digitalen Interview eine Beziehung zum Gegenüber aufzubauen, damit eine Vertrauensbasis entsteht. Ein ohnehin bereits per Bildschirm distanziertes Gespräch sollte nicht noch unnötig formalisiert und stocksteif sein – dies hinterlässt kein gutes Gefühl beim Bewerber.
Als besonders negativ nehmen Bewerber fehlende technische Routine des Gegenübers sowie Verspätungen wahr. Wenn der Personaler während des Vorstellungsgesprächs anderweitig beschäftigt ist und dem Kandidaten nicht seine volle Aufmerksamkeit widmet, lässt dies ganz klar Wertschätzung vermissen. Im Grunde gelten hier die gleichen Regeln für den Unternehmensvertreter wie für den Kandidaten.
Dass ein digitales Bewerbungsgespräch bei Desinteresse stark verkürzt und man bei einem für eine Stunde angesetzten Gespräch nach 15–20 Minuten entlassen wird, ist einfach eine Unsitte. Bei digitalen Vorstellungsgesprächen sollte dem Gegenüber immer die Möglichkeit gegeben werden, offene Fragen zu klären. Auch beim digitalen Interview sollten alle Teilnehmer mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch gehen.
Alles, was als zusätzliche Information neben dem reinen Bewerbungsgespräch mit der Führungskraft hinzukommt, ist hilfreich. So kann eine Präsentation zur Unternehmensvorstellung, der Darstellung der Werte und Visionen hilfreich sein. Auch ein Imagefilm oder ein Film über den typischen Arbeitsalltag im Leben eines Mitarbeiters können helfen, den digitalen Eindruck ganzheitlicher zu machen.
Sehr gute Erfahrungen haben wir zum Beispiel mit der digitalen Simulation eines Probetages gemacht, bei der der Kandidat das Team kennenlernen kann und die Möglichkeit hat, unter vier Augen mit einem Mitarbeiter in einer vergleichbaren Position zu sprechen. So etwas schafft Vertrauen und liefert eine sehr authentische Vorstellung vom neuen Arbeitsplatz.
Diesen heiligen Gral des Recruitings suche ich auch noch – dieser eine Tipp gilt als verschollen oder ist ein Mythos.
Ich würde sagen, es gibt mindestens vier wichtige Tipps im Einstellungsprozess, die regelmäßig den Unterschied machen.
1. Jeder Umgang mit dem Kandidaten muss von ausgeprägter Wertschätzung sein. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ein Gespräch mit dem Satz „Sie hören nächste Woche von uns“ zu beenden, oder mit „Ich kann mir das richtig gut vorstellen mit uns beiden und würde mich sehr freuen, Sie an Bord begrüßen zu dürfen.“
2. Ein häufig unterschätzter Aspekt im Bewerbungsprozess ist die Schnelligkeit. Personalern ist bewusst, dass sie sich schnell für einen Kandidaten entscheiden müssen, da diese nicht ewig auf eine Zusage warten und sich ansonsten anderweitig entscheiden. Der aus dem Vertrieb entlehnte Merksatz „Time kills all deals“ spiegelt sich jedoch noch nicht in jedem Einstellungsverfahren wider.
3. Ein gutes Bewerbungsverfahren, welches letztlich zum Erfolg führt, besteht im Grunde aus den beiden vorgenannten Punkten: Der Bewerber sollte sich wertgeschätzt fühlen, möglichst wenige Stufen zu erklimmen haben und relativ zügig erfahren, wo genau er im Bewerbungsprozess gerade steht.
4. Nachträglich einberufene Zwischenschritte, Gespräche, Evaluationen oder das Anfordern von Referenzen können als Unsicherheit seitens des Arbeitsgebers gedeutet werden. Ist jeder Prozessschritt zu Anfang angekündigt, herrscht Transparenz und Klarheit und damit wird bereits der Grundstein zu einem Vertrauensverhältnis gelegt.
Diese Erfahrung machen unsere Kunden und wir selbst auch. Sicher ist, dass das digitale Onboarding in seiner aktuellen Form noch nicht final ist und es noch viel Optimierungspotenzial gibt. Erst 20 Prozent unserer Kunden haben angefangen, Inhalte des Onboardings zu digitalisieren, zum Beispiel Lern- und Unterweisungsvideos zu erstellen.
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